«Ein gutes Gefühl, ohne auf Kosten anderer zu geniessen!»

    Die Knospe sorgt für ein Gleichgewicht zwischen Mensch, Tier und Natur. Bio-Artikel boomen zurzeit – auch dank der Pandemie, die verdeutlicht, dass weniger auch mehr bedeuten kann. Urs Brändli, Präsident Bio Suisse, über das gegenseitige Vertrauen zwischen Produzenten und Konsumenten, die Sicherung der Biodiversität, bewussten Konsum sowie verantwortungsvolles Einkaufen.

    (Bild: zVg) Auf Wachstumskurs: Diese erfreuliche Entwicklung bietet weiteren Betrieben die Chance, eine Umstellung auf Bio zu prüfen.

    Der Dachverband Bio Suisse ist seit seiner Gründung im Jahre 1981 zu DER Bio-Organisation in der Schweiz herangewachsen. Wie war das möglich? Urs Brändli: Mit der Gründung der Vereinigung Schweizerischer Biologischer Landbau-Organisationen VSBLO haben sich sechs Organisationen auf gemeinsame Richtlinien für den biologischen Anbau verständigt. Diese Einigung war nötig, um dem damaligen politischen Druck standzuhalten. Es gab Bestrebungen, das Wort «Bio» bei Lebensmitteln zu verbieten. Die Einführung von Naturaplan durch Coop im Jahr 1993 und dem Bekenntnis zur Knospe brachte der noch jungen Bio-Bewegung viel Schub. Die Nachfrage stieg kontinuierlich, immer mehr bäuerliche Betriebe stellten auf Bio um und schlossen sich Bio Suisse an. Eine klare Markenpolitik und die stetige Weiterentwicklung der Richtlinien sorgen bis heute für höchste Standards und einem entsprechenden Vertrauen bei unserer Kundschaft.

    Was steckt hinter der Knospe, die Marke der Schweizer Bio-Produzentinnen und Produzenten? Die Knospe gehört den Bio-Bäuerinnen und -Bauern. Selbstbestimmt entscheiden sie über die Anforderungen, die zu erfüllen sind. Unsere Richtlinien gehören zu den strengsten weltweit, was unabhängige Labelratings (z.B. von Push/WWF) auch immer wieder belegen. Hohe Transparenz und Rückverfolgbarkeit schaffen grosses Vertrauen in der gesamten Wertschöpfungskette – vom Anbau, über die Verarbeitung, bis hin zu den Konsumierenden. Die Knospe bietet umfassende Nachhaltigkeit. Nicht nur im Bereich Ökologie, sondern auch bei Ökonomie und Sozialem. Die Knospe sorgt also für ein Gleichgewicht zwischen Mensch, Tier und Natur.

    Der Umsatz mit Bio-Artikel hat im letzten Jahr einen Rekord mit einem Wachstum um 20 Prozent zu verzeichnen. Was bedeutet das für Bio Suisse und ihre Produzent- innen und Produzenten? Dieses enorme Wachstum freut uns sehr. Wir sind uns aber bewusst, dass Pandemie und Lockdown mit dazu beigetragen haben. Wer regelmässig Bio-Produkte einkauft, hatte grösseren Bedarf, da keine «ausser Haus Verpflegung» mehr möglich war. Zudem konnten viele Bio-Hofläden neue Kundinnen und Kunden begrüssen – oftmals konnte die verstärkte Nachfrage kaum bewältigt werden. Eine stetig wachsende Nachfrage hat den heutigen Erfolg der Knospe erst ermöglicht. Diese erfreuliche Entwicklung bietet weiteren Betrieben die Chance, eine Umstellung auf Bio zu prüfen.

    Wird der Trend zu mehr Nachhaltigkeit anhalten, wenn die Pandemie vorbei ist?
    Covid-19 hat den Aspekt der Gesundheit stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt. Auch hat die Pandemie vielen Leuten verdeutlicht, dass weniger auch mehr bedeuten kann. Ich kann zwar als einzelne Person die Welt nicht verändern, aber meinen Beitrag dazu leisten. Dass immer mehr Menschen so denken und handeln, freut mich sehr.

    Bio Suisse setzt den Fokus auf die Gemeinschaftsgastronomie. Weshalb? In der Schweiz verpflegen sich täglich fast eine Million Personen in Kantinen, Spitälern, Altersheimen, etc. Bio-Produkte werden in öffentlichen Küchen jedoch sehr selten verwendet. Die Forderungen werden immer lauter, dass auch öffentliche Institutionen bei der Verpflegung nachhaltiger werden müssen – zu Recht. Bio Suisse will die zuständigen Stellen auf diesem Weg unterstützen. In der Gestaltung des Angebotes für ihre Kundschaft, aber auch bei der Beschaffung von Bio-Produkten. Je mehr Bio-Produkte auch bei der «ausser Haus Verpflegung» zur Auswahl stehen, umso mehr Betriebe werden auf Bio umstellen.

    (Bild: zVg) Bio Suisse-Präsident Urs Brändli erwartet, «dass die Politik ihre Verantwortung gegenüber der nächsten Generation endlich wahrnimmt.»

    Was bedeutet Corona für die Bauern? Freud und Leid gleichzeitig. Im Lockdown war die Bewegungsfreiheit auf einem landwirtschaftlichen Betrieb sicher grösser als in einer Stadtwohnung. Aber das soziale Leben leidete genauso. Geschlossene Grenzen und eine eingeschränkte Reisefreiheit haben dafür gesorgt, dass viele Leute Hofläden für sich entdeckten oder sich zum ersten Mal Lebensmittel direkt ab Hof nach Hause liefern liessen.

    Der Direktverkauf hat deutlich zugelegt. Dies ist erfreulich, denn es fördert das gegenseitige Vertrauen zwischen Produzenten und Konsumenten. Zudem entsteht eine Win-win-Situation, denn so fallen die Margen des Zwischenhandels weg.

    Sie können es sicher gut beurteilen: Wie schlimm steht es um die Biodiversität in der Schweiz? Der Verlust nimmt immer grössere Ausmasse an. Vor 30 Jahren musste man bei einer Autofahrt regelmässig die Insekten von der Frontscheibe wischen. Heute ist dies nur noch selten der Fall. Auch wenn gewisse Insekten für uns Menschen lästig erscheinen, so dürfen wir ihre Wichtigkeit nicht unterschätzen. Nicht nur den Vögeln, sondern vielen weiteren Tierarten und auch uns Menschen sichern sie das Überleben. Dass Bienen als Bestäuber wirken, ist bekannt. Aber Wildbienen, die viel fleissiger bestäuben als die Honigbienen, sind besonders stark bedroht. Viele Insekten dienen uns auch als natürliche Feinde von Schädlingen in Feld und Garten, so zum Beispiel Schlupfwespen und Marienkäfer. Eine intensive Landwirtschaft hat einen grossen Einfluss auf Kleintiere, wie auch auf die Vielfalt der Pflanzenarten. Erst kürzlich berichtete Agroscope – das Schweizer Agrarforschungs-Institut –, dass ein Feld, das nach Bio-Richtlinien bewirtschaftet wird, eine um 230 Prozent höhere ober- irdische Pflanzenartenvielfalt ausweist. Auch fanden sie 90 Prozent mehr Regenwürmer in Bio-Parzellen. Bio leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Biodiversität. Genauso wichtig aber ist, dass alle Menschen dazu beitragen. Lassen Sie Pflanzen auf ihrem Balkon spriessen, verzichten Sie auf Steineinöden rund ums Haus und überlassen sie einen Teil ihres Gartens der Natur – schon bald werden sie sich an der neuen Vielfalt erfreuen.

    Der Bundesrat gab das Verordnungspaket «Massnahmenpaket sauberes Wasser» in die Anhörung Aber es fehlt doch weiterhin ein klares Bekenntnis zum Biolandbau? Das ist in der Tat erstaunlich und unverständlich. Gerade auch im Vergleich mit unseren Nachbarn in der EU, die bis 2030 25 Prozent Bio-Fläche erreichen wollen. Zudem werden schon heute sehr viele Methoden und Hilfsmittel, die im Biolandbau erprobt sind, in der gesamten Landwirtschaft angewendet. Wir stellen zwar fest, dass Politik und Verwaltung Bio gegenüber durchaus wohlgesinnt sind. Dass aber mehr Bio-Betriebe automatisch zu einer Verringerung vieler Probleme führt, die eine intensive Landwirtschaft auslösen, scheint in Bern nur wenigen bewusst. Bio Suisse wird in den nächsten Jahren alles daransetzen, diese Optik zu verändern.

    Bio Suisse hat die beliebte Handelsplattform «Bio Börse» komplett überarbeitet. Wie gestaltet sich nun der neue Auftritt unter biomondo.ch? Eine Modernisierung der «Bio Börse» war dringend angezeigt. Dies ist nun gelungen, ist aber nur eine erste Etappe. In einem zweiten Schritt wird die bestehende Vermarktungsplattform «knospehof.ch», die Angebote von Bio-Betrieben und Lizenznehmern öffentlich macht, integriert. Später soll biomondo.ch auch zur Plattform werden, wo Bio-Betriebe ihre Waren gemeinsam anbieten können. So können künftig zum Beispiel Gastro-Küchen, die grössere Mengen an Lebensmitteln benötigen, ihren Bedarf via einen Kontakt decken.

    Die Bio-Bäuerinnen und Bio-Bauern benötigen faire Preis. Wie können Sie diese immer gewährleisten? Faire Preise sollten grundsätzlich für alle Betriebe gelten, weltweit. Bio Suisse unterstützt ihre Mitglieder, indem sie grösstmögliche Transparenz im Bio-Markt schafft.

    Wo stösst die Aufnahmekapazität des Marktes an seine Grenzen, bei welchen Produkten besteht noch Potenzial? In Preisverhandlungen unterstützt die Geschäftsstelle von Bio Suisse in Basel die Bio-Bauern tatkräftig. Die Preise verhandeln die Bio-Bauern aber immer selbst. Die direkte Betroffenheit ist der beste Garant für den engagierten Einsatz in Preisrunden.

    Wie nutzen Sie den Schub von Corona und sensibilisieren noch mehr Konsumentinnen und Konsumenten für Bio-Produkte? Es ist ein gutes Gefühl, ohne auf Kosten anderer zu geniessen. Egal ob der Grund die eigene Gesundheit oder der Schutz von Umwelt und Natur ist. Beides ist bei vielen Leuten während Corona in den Fokus gerückt. Wem Bio-Produkte im Handel zu teuer erscheinen, der findet immer mehr Angebote direkt ab Hof oder via Internet. Bio Suisse unter- stützt seine Mitglieder dabei aktiv. Die weitere Sensibilisierung der Konsumierenden gehört zu unseren Hauptanliegen. Die Umwelt- und Klimabelastungen unserer Ernährung belaufen sich in der Schweiz auf rund 28 Prozent der Gesamtbelastung. Das heisst, jede Person kann mit verantwortungsvollem Ein- kaufen und bewusstem Konsum viel zur Entlastung der Umwelt bei- tragen. Wenn jede und jeder seinen Konsum von Bio-Produkten pro Jahr um 10 Prozent erhöht, dann stellen auch die Bauern laufend auf Bio um. Innert weniger Jahre würde die Schweizer Landwirtschaft zu 100 Prozent biologisch.

    Was sind momentan die Hauptanliegen von Bio Suisse an die Politik? Als Grossvater erwarte ich von der Politik, dass sie ihre Verantwortung gegenüber den nächsten Generationen endlich wahrnimmt. Oder sollen wir unseren Enkeln später mal erklären – ja, wir haben’s schon gewusst, aber es war uns zu teuer? Die Politik muss künftig berücksichtigen, dass Landwirtschaft und Ernährung in engem Zusammenhang stehen. Unser Land braucht dringend eine Ernährungsstrategie. Die erfolgsversprechendste Massnahme hin zu einem nachhaltigen Konsumverhalten wäre, in allen Konsumgütern die wahren Kosten abzubilden. Nicht von heute auf morgen, aber Schritt für Schritt. Das wäre ein sehr liberaler Weg, der gut zu unserem Land passt. Von der künftigen Agrarpolitik erwarten wir, dass sie vom Weg der 1000 Massnahmen abrückt und sich zielorientiert gestaltet. Zudem sollten kontrollierte und zertifizierte Anbausysteme wie Bio oder IP nicht nochmals Formulare ausfüllen müssen, bzw. kontrolliert werden.

    Corinne Remund


    DAFÜR STEHT BIO SUISSE

    Die Knospe ist die Marke der rund 7450 Schweizer Land- wirtschafts- und Gartenbaubetriebe, die nach den Richtlinien von Bio Suisse produzieren. Weitere über 1150 lizenzierte Verarbeitungs- und Handelsbetriebe stellen Knospen-Lebensmitteln her oder handeln damit.

    Ganzheitlich: Bio für den gesamten Betrieb und für die ganze Produkteverarbeitung. Ressourcenschutz: Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide und Kunstdünger. Schutz von Boden, Wasser, Luft und Klima.

    Tierwohl: Artgerechtes Futter, tiergerechter Stall, viel Auslauf und Weide.
    Biodiversität: Vielfältige Lebensräume für Pflanzen und Tiere.

    Fairness: Richtlinie für soziale Anforderungen und faire Handelsbeziehungen.
    Geschmack: Schonende Verarbeitung, frei von Aroma und Farbstoffen, authentische Produkte.

    Vertrauen: Strikte Kontrollen, Verzicht auf Gentechnik, Strenge Vorschriften für Importe.

    www.bio-suisse.ch

    Vorheriger ArtikelKeine Klischees, sondern Authentizität
    Nächster ArtikelWie wichtig ist es eine massgeschneiderte Vorsorgelösung zu haben?