So viele freie Stellen wie noch nie

    Unternehmen tun sich so schwer wie noch nie, geeignete Fachkräfte zu finden. «Wo sind unsere Handwerkerinnen und Handwerker hin? Und was braucht es, um sie wieder zu finden?» war das Thema des sechsten KMU-Events der Firma Schoop + Co. AG in Baden Dättwil.

    (Bild: ub) Ein eingeschworenes Team: Franziska und Adrian Schoop leiten das Familienunternehmen in der dritten Generation weiter.

    Adrian Schoop leitet die Schoop + Co. AG mit seiner Schwester Franziska in der dritten Generation. Kerngeschäft sind Gartenbau-, Spengler- und Flachdacharbeiten. Ein gutes familiäres Arbeitsklima und gegenseitiger Respekt sind dem CEO bei seinen rund 200 Mitarbeitenden wichtig. «Wir sind alle per Du und haben einen firmeneigenen Fitnessraum, in dem jeder der möchte individuell trainieren kann und zweimal die Woche ein Group Fitness stattfindet. Eine Mitarbeiter-App sowie das firmeninterne «Schoop TV» geben allen in unserem Team die Möglichkeit, zu sehen, was in anderen Abteilungen läuft. Schliesslich sind wir eine grosse Familie, in der jeder Verantwortung übernimmt», erzählt Adrian Schoop nicht ohne Stolz. Der 36-jährige Aargauer Grossrat beschäftigt sich regelmässig und intensiv mit gesellschaftlichen und arbeitsmarktlichen Themen, die unter den Nägeln brennen. Der akute Fachkräftemangel der vor allem in handwerklichen Berufen herrscht, stand im Zentrum des 6. KMU-Anlasses, der in Partnerschaft mit dem Bildungsnetzwerk Aargau Ost durchgeführt wurde.

    (Bild: © Adrian Ehrbar) KMU-Event in der Schoop + Co. AG zum Thema Handwerker­Innen-Mangel

    Das Problem ist akut
    «Wir haben viele langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter», sagt Stv. CEO Franziska Schoop, die als Führungskraft auf flache Hierarchien setzt. Und sie fügt hinzu: «Bei uns ist man vom ersten Tag an vollständig integriert und kann Verantwortung übernehmen.» Trotzdem sei es schwieriger geworden, gute Handwerkerinnen und Handwerker zu finden. «Wir können nicht mehr einfach eine Stelle ausschreiben, sondern müssen gutes Mitarbeitermarketing machen. Und um unsere Lehrlinge kämpfen, damit sie nach ihrem Abschluss bei uns bleiben.» Die Schoop + Co. AG bietet pro Jahr rund 26 Lehrstellen. Noch immer ist ein Teil davon unbesetzt, obwohl in knapp sechs Wochen Lehrbeginn ist. Gemäss dem führenden Stellenvermittler Adecco sind aktuell so viele Stellen ausgeschrieben wie noch nie, es herrscht zurzeit ein massiv grösserer Fachkräftemangel als im Vor-Corona-Jahr 2019. Nach Angaben des Aargauischen Gewerbeverbands haben 50 % der Aargauer KMU damit zu kämpfen. «Das Problem ist akut und komplex. Wir müssen reagieren. Und zwar rasch, wirksam, aber auch mit einem langfristigen Horizont», meint Thomas Eichenberger, Geschäftsführer Bildungsnetzwerk Aargau Ost.

    Akademisierung und Imageprobleme
    Wie aber kommt es zu diesem Fachkräftemangel und warum ist das Image des Handwerkerberufs, eigentlich das Rückgrat unserer Volkswirtschaft, so gesunken? Margrit Stamm, Erziehungswissenschaftlerin und emeritierte Professorin für Erziehungswissenschaften an der Universität Freiburg, macht zum einen vor allem die «Akademisierung» für den Notstand verantwortlich. Seit 1999 haben Hochschulabschlüsse von 10 auf 29 % zu- und Berufslehren von 52 auf 36 % abgenommen. «Wenn ein Akademikerpaar Nachwuchs hat, der eine Berufslehre machen will, bedeutet das gemäss OECD ein Bildungsabstieg», bekundet Stamm in ihrem Referat, «das Gymnasium wird als sicherer Wert angesehen. Was eigentlich gar nicht stimmt. Wenn man eine Matura hat, bedeutet das noch gar nichts.» Zum Zweiten sei das Image des Handwerkerberufs bei jungen Leuten nicht besonders gut. «Je mehr ein Beruf mit Körperarbeit, Kraft und schwieligen Händen verbunden ist, desto tiefer der Status der Person, die ihn ausübt», so Stamm. Gerade die heutige, von den Social Media beeinflusste Generation suche extrem nach Anerkennung und Bestätigung. Es ist auch ein gesellschaftliches Problem, was für einen Stellenwert die verschiedenen Berufe haben. Das sitzt in den Köpfen der Leute fest.

    Wertschätzung und Quereinstiegsmöglichkeiten
    Wie kann man Fachkräfte gewinnen und halten? Stamm präsentiert Auszüge aus einer ETH-Studie. Wenn ein Beruf Arbeitsvielfalt zeigt und wenig Automatisierung, gibt es seltener Berufswechsel. Der Wunsch nach Vereinbarkeit mit der Familie ist grösser geworden. Auch die Wertschätzung ist enorm wichtig und wird von der jungen Generation sogar noch vor dem Lohn genannt. Ein gutes Klima in der Firma, wie es die Schoop + Co. AG hat, ist wichtiger denn je. Stamm empfiehlt, dass jeder Betrieb die Arbeitsbedingungen für seine Mitarbeitenden reflektiert, um die «Haltekraft» zu stärken. Und zudem mehr berufsbegleitende Weiterbildungen nutzbar gemacht werden. Bezüglich Akademisierung müsse ein Wandel in den Köpfen der Gesellschaft stattfinden. Und auch in den Familien das Image des Handwerkerberufs wieder mehr an Bedeutung gewinnen. «Wir verlieren viele Leute, die eigentlich viel besser positioniert wären, wenn sie in einer höheren Berufsbildung wären», meint sie. Weil heutzutage Menschen nicht mehr 30 bis 40 Jahre im selben Beruf blieben, müsse es auch vermehrt Quereinsteigerprogramme geben.

    Durch den Mangel steigt der Stellenwert
    In der von Katia Röthlin geleiteten Podiumsdiskussion kommen die Schoop-Mitarbeiter Thomas Zbinden und Janick Matzelt sowie Joachim Lorch, CEO & Delegierter des Verwaltungsrates der Hächler-Gruppe, zu Wort. Lorch plädiert wie Schoop für flache Hierarchien. Zbinden ist erst seit zwei Jahren bei Schoop und bereits Teamleiter der Spenglerei. Zudem baut er die Abteilung Solaranlagen auf. Matzelt schliesst demnächst die Polierschule ab. «Unsere Arbeit ist schön, abwechslungsreich und wir werden wertgeschätzt», meinen beide und wirken glücklich. Zudem seien sie in einem Unternehmen mit einem tollen Familien-Spirit angestellt, bestätigen sie die Worte von CEO Adrian Schoop. Dieser sieht die Krise auch als Chance: «Ich denke durch den Fachkräftemangel wird das Handwerk wieder seinen sprichwörtlichen goldenen Boden bekommen und an Bedeutung gewinnen. Endlich merkt die Öffentlichkeit wieder, wie wichtig Handwerkerinnen und Handwerker für einen reibungslosen Alltag sind. Ihre Leistungen werden besser bezahlt, und sie bekommen den Stellenwert, den sie eigentlich schon seit langem verdienen.»

    Ursula Burgherr

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