Tragen wir Sorge zu unserem Milizsystem


    Kolumne


    Unsere Gesellschaft und unsere direkte Demokratie funktionieren nur, wenn wir uns freiwillig für das Gemeinwesen engagieren. Dazu braucht es uns alle – auch Sie.

    (Bild: © Ehrbar Photography) Dr. Adrian Schoop ist Unternehmer und FDP-Grossrat.

    Der Geburtstag der Schweiz wurde am 1. August landauf, landab mit wunderschönen, meist durch lokale Vereine gestalteten Anlässen gefeiert. Turnhallen, Schützenhäuser und Festzelte wurden beflaggt und dekoriert. Sportvereine, Quartiervereine und Kulturvereine haben zu Raclette, Risotto oder Grilliertem eingeladen. Musikgesellschaften sind aufgetreten. Das ist mehr als Folklore – das macht die Seele und den Zusammenhalt unseres Landes aus.

    Die Schweiz lebt vom Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Unser Milizsystem ist einzigartig. Das zeigt etwa auch ein Vergleich mit Frankreich, wo sich alles nur in Paris abspielt und von Paris kontrolliert wird. Nein, wir sind mit unserem föderalistischen System ein Land der Kantone und Regionen. Alle können mitmachen, mitgestalten und mitfeiern.

    Die direkte Demokratie ist ein Privileg: Wir dürfen mitbestimmen. Und zwar bei allem, nicht nur bei der Wahl unserer Volksvertreter. Mit dem Instrument des Referendums können wir Regierungs- und Parlamentsentscheide korrigieren. Das kennen unsere Nachbarn nicht – weltweit gibt es keine so weitreichende Mitbestimmung.

    Erfolgsmodell in Gefahr
    Das Erfolgsmodell Schweiz, das auf unserem Milizsystem aufbaut, ist jedoch in Gefahr. Immer weniger Menschen sind bereit, sich freiwillig für das Gemeinwesen einzusetzen. Immer weniger Menschen nehmen ihr Privileg der Mitbestimmung wahr: Die Wahlbeteiligung liegt seit den 1980er Jahren konstant unter 50 Prozent. Auch bei Abstimmungen bleibt die Mehrheit der Bevölkerung der Urne fern. Mitbestimmung scheint bei mehr als der Hälfte zweitrangig.

    In Diskussionen halten sich ebenfalls viele lieber zurück. Das hat auch damit zu tun, dass radikale Minderheiten sofort in sozialen Medien und anderswo einen Shitstorm lostreten, wenn jemand eine abweichende Meinung äussert. Zunehmend schaffen es laute Splittergruppen, ihren Partikularinteresse überproportional Gehör zu verschaffen. Was früher eine mediale Randnotiz war, wird heutzutage schnell zu einem Hauptthema der Berichterstattung. Es wird über das berichtet, was online Clicks generiert und im Trend ist. Minderheitengruppen werden selbst zum Ereignis und bekommen dadurch gesellschaftliche Relevanz. Wie die ultraradikalen Ökoterroristen zeigen, reicht es, sich für eine kurze Zeit auf der Strasse festzukleben, um den öffentlichen Fokus auf sich zu ziehen.

    Doch aufgepasst: Wenn das schrille, zum Teil sogar illegale Auftreten einer Minderheit wichtiger wird als die Meinung der Mehrheit, wird es für eine Demokratie gefährlich. Wir lassen uns von ein paar radikalen Personen tyrannisieren und verlassen den Boden eines demokratischen Willensbildungsprozesses.

    Ich frage mich deshalb: Kommt unser System an seine Grenzen? Zugespitzt formuliert könnte man sagen: Machen wir so weiter, braucht es keine Wahlen mehr, dann reicht Radau. Es kann nicht sein, dass Klimakleber und andere Fanatiker unser Leben beeinflussen.

    Die Schweiz braucht uns alle
    Dass unser Erfolgssystem in Gefahr ist, zeigt sich auch auf lokaler Ebene: Es wird immer schwieriger, Menschen zu finden, die sich aktiv einbringen, im Gemeinderat, der Schulbehörde oder in Kommissionen. Auch Vereinen und Feuerwehren fehlt der Nachwuchs.

    Es stehen nicht nur wichtige und wegweisende politische Themen auf nationaler Ebene auf der Agenda, etwa das Verhältnis zur EU, die Energiepolitik und das Verhindern einer Strommangellage oder das ungebremste Bevölkerungswachstum. Auch kantonal und kommunal muss vieles entschieden und geregelt werden.

    Dazu braucht es Menschen, die sich damit befassen; Menschen, die sich einsetzen; Menschen, die das Gemeinwohl über das Einzelinteresse stellen. Für mich ist und bleibt der 1. August, den wir vor Kurzem feiern durften, das Symbol für dieses Engagement für unsere Gesellschaft, für unser schönes und einzigartiges Land. Seien wir deshalb stolz, die Schweizerfahne zu zeigen – und das nicht nur am 1. August. Setzen wir uns für die Schweiz ein. Halten wir an unseren Traditionen fest. Die Schweiz hat es nicht nur verdient: Nein, sie braucht es auch, sie braucht uns, sie braucht Sie!

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